Von Flasche zu Flasche

Viele Jahre meines Lebens war ich der festen Überzeugung, die Schönheit der Welt würde sich mir ausschliesslich in Gegenwart (wenn nicht in Gestalt) einer Flasche Wein zu erkennen geben. Ich hatte festgestellt, dass ich in leicht angetrunkenem Zustand eine Begeisterung für Dinge entwickelte, die mich sonst eher unberührt liessen. Das Projekt Von Flasche zu Flasche war ein Versuch, etwas von diesen Zuständen festzuschreiben. Beim Absinken ins Glas fand ich allerdings mehr als nur Schönes.

Vom 29. Juni 2013 bis zum 6. Juli 2019 führte ich in unregelmässigen Abständen ein Tagebuch in Gegenwart einer Flasche Wein. Es ging mir dabei keineswegs darum, Weine miteinander zu vergleichen, sie einzuordnen, zu bewerten oder gar Kauftipps abzugeben. Dafür braucht es einen kühlen Kopf und klare Kriterien. Beides steht mir nicht zur Verfügung.

Die Flasche war mir vielmehr ein Gegenüber, mit dem ich eine gewisse Zeit verbrachte – in der Regel eine gute Stunde, manchmal auch zwei. Während dieser Zeit ging es nur um diesen Wein und um mich. Er brachte seine Bedingungen mit: seine Herkunft, den Charakter seiner Traube, die aromatischen Spuren seines Terroirs, die Zeichen seiner Verarbeitung im Keller, seine Reifung etc. Und ich brachte meine Bedingungen mit: meine Geschichte, meine gegenwärtige Verfassung, die Erinnerungen an die Erlebnisse des Tages, meine Sorgen und Ängste, meinen Jubel, meine Traurigkeit – und nicht zuletzt natürlich auch meinen Durst, meine Lust auf Gerüche, meinen Appetit auf Geschmäcker.

Alle Tagebucheinträge habe ich als PDF gestaltet, sie können punktgenau über das Verzeichnis Von Flasche zu Flasche angesteuert werden. Ich trank in Reihen, die auch als ganze Hefte zur Verfügung stehen. Die Hefte sind mit einem » ausgezeichnet und erscheinen jeweils am Anfang einer Reihe. Die letzte Flasche dieser Reihe trank ich am 6. Juli 2019 kurz vor meinem Abflug nach Borneo. Ob und in welcher Form das Projekt eine Fortsetzung finden wird, weiss ich gegenwärtig nicht.